Ein Gastbeitrag von Melanie Geppert
Intuition, innere Stimme

Menschen haben verschiedene Herangehensweisen Entscheidungen zu treffen. Die einen wägen sorgfältig über einen längeren Zeitraum alle Vorteile und Nachteile ab, die anderen entscheiden zügig aus dem Bauch heraus. Sicher hängt dies auch situationsbedingt davon ab, was gerade entschieden werden muss. Haben wir viel Erfahrung in einem Bereich, fällt es uns leicht, uns schnell für eine Lösung zu entscheiden. Je stärker wir jedoch mit etwas völlig Neuem konfrontiert sind, umso mehr Unwägbarkeiten tauchen auf.

Stellen wir uns eine konkrete Situation vor: die Wahl zwischen zwei Jobs. Eine Entscheidung, die maßgeblich die Zukunft beeinflussen wird. Man spricht mit Familie und Freunden, man wägt alle Wenns und Abers ab – und ist keinen Schritt weiter. Also noch einmal hingesetzt und die Fakten gegenübergestellt: schwarz auf weiß ist die Pro-Liste für den einen Job eindeutig länger. Also klarer Fall, die Entscheidung ist getroffen. Aber: Jetzt, wo es ernst wird, sagt der Bauch, dass irgendetwas irgendwie nicht passt. Und dass man doch eigentlich viel lieber den anderen Job machen möchte. Tja, da ist sie nun: die innere Stimme. Und wahrscheinlich war sie auch schon vorher da, hätte man genau hingehört.

Wie zuverlässig ist unsere Intuition?
Wie sie tatsächlich funktioniert und wie zuverlässig sie wirklich ist, ist bisher nicht klar. Der Begriff der Intuition tauchte bereits im Werk „Psychologische Typen“ von C. G. Jung auf: Jung geht von zwei unterschiedlichen mentalen Prozessen im Bewusstsein aus: ein Prozess, um Informationen aus der Umgebung aufzunehmen und ein anderer Prozess, um Entscheidungen bzw. ein Urteil herbeizuführen. Dabei beobachtete er jeweils zwei weitere gegensätzliche Unterfunktionen. Die Wahrnehmung über die konkreten Sinneseindrücke (Empfinden) und die abstrakte, von Sinneseindrücken und reinen Tatsachen losgelöste Wahrnehmung (Intuition). Intuition und Empfinden sind bei C. G. Jung frei von Gefühlen oder esoterischen Inhalten.

Das Bauchgefühl – eine unbewusste Form der Intelligenz
Gerd Gigerenzer, Professor der Psychologie, Risikoforscher und Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage, wie Menschen Entscheidungen treffen. Für ihn ist die innere Stimme, das Bauchgefühl, eine unbewusste Form der Intelligenz. Viele Menschen kennen die Erfahrung, dass man, manchmal auch in Blitzesschnelle, eine Entscheidung trifft, die man nicht – oder nur sehr schlecht – begründen kann. Und dennoch ist sie richtig. Gigerenzer erklärt das Phänomen damit, dass der Mensch in dieser speziellen Situation nur auf das Wissen zurückgreift, das für genau diese Situation relevant ist. Dieser Vorgang geschieht unbewusst: Die Intuition basiert auf Erfahrungen und ist ein Prozess, in dem sich wiederholende Muster gesucht werden, um damit gesicherte Entscheidungen zu treffen. Das Gegenteil, nämlich die Überbewertung von analytischen Fakten und damit begründbaren Entscheidungen, führt aus seiner Sicht dazu, dass aus Angst und Unsicherheit alle Entscheidungen von außen abgesichert werden mit Hilfe von Beratern, komplizierten Computerprogrammen und sonstigen „Ratgebern“, die häufig teuer sind, zu Fehlentscheidungen führen und Prozesse hinauszögern.

Dennoch ist es sinnvoll, abzuwägen, wann besser rationale oder intuitive Entscheidungen getroffen werden sollten. Je mehr Erfahrungen wir mit einer Situation haben und wenn es schnell gehen muss, können wir unserer inneren Stimme vertrauen. Ist es jedoch wichtig, verschiedene Perspektiven zu betrachten oder langfristige Ziele zu erreichen, ist das rationale Denken der bessere Ratgeber.

Lernen, auf die innere Stimme zu hören
Intuition kann geübt werden. Dazu gehört natürlich als erstes, die innere Stimme erst einmal selbst wahrzunehmen und ihr zuzuhören. Das heißt aber auch, den eigenen Gefühlen – auch den negativen – einen Raum zu geben und sie in der jeweiligen Situation einzuordnen. Intuition hat auch etwas damit zu tun, andere Menschen zu sehen und ihr Verhalten, ihre Gefühle zu beobachten. Dadurch schulen wir unsere Interpretationsfähigkeit. Einfache Übungen helfen hier schon: Was passiert, wenn ich den Besprechungsraum betrete, in dem bereits meine Kolleg*innen versammelt sind? Oder wie verhalten sich Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln? Auch das Sammeln von Informationen kann helfen: Bei einem Wildwechsel zum Beispiel wird empfohlen, das Fernlicht auszuschalten und die Hupe zu betätigen. Wenn der Bremsweg zu kurz ist, sollte der/die Autofahrer*in dem Tier nicht ausweichen, denn mit dem eigenen Fahrzeug in den Gegenverkehr zu fahren oder mit einem Baum zusammenzustoßen, würde einen weitaus größeren Schaden hinterlassen. Ausgestattet mit diesem Wissen reagieren wir in dieser Situation höchstwahrscheinlich intuitiv richtig.

Albert Einstein stellte einmal pessimistisch fest: „Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Verstand ein treuer Diener. Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.“ Nun ja, man kann wohl zurecht sagen, dass beide Haltungen ihre Berechtigung haben.

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Melanie Geppert

Als Texterin führe ich seit fünf Jahren meine eigene Agentur und freue mich immer wieder über die Schönheit und Tücken der deutschen Sprache. Es fällt mir leicht, für andere die richtigen Worte zu finden und mich in ihre Themen und Zielgruppen einzudenken. Dafür greife ich auf fast 20 Jahre Erfahrung im Marketing zurück. Was mich persönlich antreibt: Leben im Hier und Jetzt. Den Blick nach vorne richten. Neugierig bleiben. Im Schweren das Leichte entdecken.